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Chile – Durch die Atacama

22/03/2014 - Ralf Schröder

Die Sonne steht senkrecht über uns. Der Schatten des kleinen Baumes ist kaum mehr als einen Meter breit. Das reicht für uns und die Motorräder nur knapp. Wir haben kein Thermometer dabei, aber gefühlt sind wir nicht weit von 40 Grad entfernt. Erst die Wasserflasche leer machen, dann die Flasche mit dem Taschenmesser abschneiden und zum Trichter umfunktionieren. Die 650 GS hat zwar einen niedrigen Verbrauch, aber ob es für 300 Kilometer ohne Tankstelle reicht? Darauf wollten wir es mitten in der Atacama-Wüste nicht ankommen lassen und haben an der letzten Tankstelle in Carmen Alto die Motorräder nicht nur bis zum Anschlag betankt, sondern auch einen Kanister befüllt. Der ist aber offensichtlich nicht für Benzin gedacht und hat sich – durch den Inhalt oder durch die Hitze? – schon leicht verformt. Es wird Zeit, dass wir den Sprit in Birgits Tank füllen, bevor sich der Kanister auflöst oder uns um die Ohren fliegt. Obwohl wir uns wenig bewegen, läuft der Schweiß in Strömen.

Vom Pazifik in den Salar de Atacama

Am Morgen waren wir in Antofagasta im Norden Chiles aufgebrochen. Den Geruch des Pazifiks noch in der Nase stieg die Straße schnell an. Die ersten 800 Höhenmeter waren für das Auge noch zu erkennen, Kurven und ein Hang links der Straße waren eindeutige Indizien. Unser schattiges Plätzchen in der Oase Peine, einem winzigen Dorf am Rande des Salars de Atacama, befindet sich bereits auf 2200 Meter Höhe – und von dem Anstieg war kaum etwas zu sehen. Wir sind mitten durch den Salar gefahren. Eine Piste führt über den Salzsee. Sie wird von LKW benutzt, denn aus dem Salz wird Lithium gewonnen. Kein Schotter, sondern fest wie Beton ist die Piste.

Keinen Meter bereue ich! Da war diese Kuppe vor dem Salar, auf der wir gehalten haben. Ein langer, dünner Strich durch die weiße Ebene: die Piste. Das Dorf Peine lässt sich als Punkt am Horizont nur erahnen. Und dahinter die Anden, klar und deutlich. Bis Peine müssen es fast 100 Kilometer sein, bis zu den Bergen vielleicht 150 Kilometer! Was für eine Fernsicht. Die Luft ist in der Atacama-Wüste so klar, dass alle großen Organisationen, die Weltraumforschung betreiben, hier ihre Teleskope aufstellen. Nicht im Salar, sondern weiter südlich: Wir hatten probiert, das Europäische Observatorium in La Silla zu besuchen, aber man hätte sich lange vorher anmelden müssen. Schade, aber die einsame Piste dorthin war trotzdem toll zu fahren.

San Pedro

Wir verlassen den Schatten, ziehen die dampfenden Stiefel wieder an und bewundern die kleinen Jungs, die nebenan auf dem Bolzplatz in der Hitze Fußball spielen. Von Peine fahren wir am Rande des Salar entlang über Toconao nach San Pedro de Atacama. Hier befindet sich die erste Zollstation nach der argentinischen Grenze und nach der bolivianischen Grenze oben in den Anden. San Pedro ist ein Sammelpunkt für Touristen und Globetrotter aus aller Welt. Die Hotelzimmer kosten glatt das Doppelte der in Chile üblichen Preise. Aber Zelten? Hier in der Gluthitze? Mein Höhenmesser zeigt mir 2450 Meter an. Wir wollen hier ein paar Tage bleiben, um uns an die Höhenluft zu gewöhnen. Und das ist bitter nötig, wie der nächste Tag zeigt.

Dünne Luft auf dem Paso de Jama

Reinhard möchte ein Foto von der argentinischen Grenze machen. 160 Kilometer pro Weg ohne Baum und Strauch, geschweige denn eine Ortschaft. Kann man ja mal eben machen. Birgits 650 GS wieder bis zum Anschlag vollgetankt, die 320 Kilometer schafft sie, wissen wir jetzt. Außerdem geht es zurück bergab. Der Paso de Jama liegt nämlich auf 4173 Metern Höhe. Es geht in weiten Schwüngen auf einer gut ausgebauten Straße bergauf. San Pedro wird unter uns immer kleiner. In einer Schlucht liegt ein LKW-Wrack, das Lenkrad oben an einem Kreuz befestigt. Wie lange der hier wohl schon liegt? Nach einer Stunde machen wir eine Pause am nackten Straßenrand. Wir essen unsere mitgebrachten Empanadas, aber das Kauen geht wie in Zeitlupe. Beim Aufstehen wird mir schwarz vor Augen: Die dünne Höhenluft macht sich bemerkbar.  Birgit und Reinhard geht es ähnlich. Wie war das mit dem LKW in der Schlucht vorhin? Mein Höhenmesser behauptet, wir hätten die 4000 Meter schon erreicht. Und rechts und links der Straße noch Vulkankegel – was für eine Landschaft! Wir sind vernünftig und drehen um. Als kleine Entschädigung machen wir zumindest den acht Kilometer langen Abstecher zur bolivianischen Grenze. Von Straße kann keine Rede mehr sein, es gibt ein paar Fahrspuren im offenen Gelände und am Ende einen Schlagbaum mitten in der Wüste. Der bolivianische Grenzer steckt kurz seinen Kopf aus seinem Häuschen, aber als er sieht, dass wir nur Fotos machen wollen, verzieht er sich wieder.

Bei der Rückkehr auf den Hotelparkplatz fahre ich mir einen fetten Nagel in den Hinterreifen. Das Hotel teilt sich den Parkplatz mit einer Tischlerei – wie sinnig. Was tun mitten in der Wüste? Selber flicken bei der Nagelgröße? Nur wenn es nicht anders geht. Aber Mabel weiß Rat. “Es gibt hier überall Vulkanisateure.” Andreas und ich bauen das Hinterrad aus, schnallen es auf Reinhards GS und machen uns auf die Suche. Mabel übersetzt für uns. Beim ersten Reifenflicker haben wir Pech. Sein kleiner Sohn erklärt uns, dass der Vater erst morgen wieder arbeiten kann. Er hat wohl dem Alkohol etwas reichlich zugesprochen. Wir haben 11 Uhr vormittags und über 30 Grad. Wenn ich da Schnaps trinken würde… oh nee. Der zweite Vulkanisateur ist dagegen topfit. Auch wenn seine Werkstatt nur aus Wellblech gebaut ist: Hier ist alles picobello aufgeräumt. Motorradreifen hat er nicht so oft, aber er macht das wirklich professionell, wenn auch mit einfachsten Mitteln. Keine halbe Stunde später ist mein Conti TKC 80 sauber geflickt. Er will umgerechnet zehn Euro dafür haben und bekommt das Doppelte. So sind wir beide sehr zufrieden.

Sonnenuntergang im Valle de la Luna

Unser abendlicher Ausflug verhagelt mir dann die Laune kurz mal. Wir fahren in das Valle de la Luna, das Tal des Mondes. Eine riesige Sanddüne gibt es dort, von der man den Sonnenuntergang über der Wüste besonders schön beobachten kann. Wir sind aber nicht die Einzigen, das steht in jedem Reiseführer. Wie Ameisen klettern die Menschenmassen den Hang der Düne hinauf. Nach der großartigen Einsamkeit im Salar und an der bolivianischen Grenze ist mir das zu viel Trubel. Bloß wegen eines Sonnenuntergangs. Ich bin schon leicht muffig, bevor wir zurück fahren. Selbstverständlich warten wir den Sonnenuntergang ab. Und dann ist es schlagartig dunkel. Natürlich finden wir die Motorräder unten auf dem Parkplatz noch, aber eine Schotterpiste im Dunkeln fahren? Nicht so mein Ding. Und außerdem liefern sich jetzt hier alle ein Rennen um die besten Restaurantplätze in San Pedro. Meine vier Begleiter sehen das viel lockerer als ich und lassen mich erst einmal maulen. Dann kommt wieder dieser leckere chilenische Rotwein auf den Tisch und Schluck für Schluck steigt die Stimmung.

Die Atacama-Frösche von El Tatio

Wir machen einen auf Touris und haben einen Ausflug gebucht. Die Geysire von El Tatio muss man gesehen haben, sagen alle in San Pedro. Morgens um halb vier kommt der Kleinbus zum Hotel, um uns abzuholen. Man muss zum Sonnenaufgang oben sein, weil dann die Geysire besonders aktiv sein sollen. Nicht meine Uhrzeit. Drei Stunden Schlaf sind es geworden. Sieben Passagiere und ein Fahrer sind wir in dem Minibus. Eng und stickig, an Schlaf nachholen ist nicht zu denken. Der Fahrer erzählt uns, dass hier alle fahren wie der Henker, nur er nicht. Dabei überholt er gerade einen anderen Kleinbus auf der Piste. Keine lange Dämmerung, mit einem Schlag ist es hell und wir sind bei El Tatio angelangt. 4.321 Höhenmeter sagt der chilenische Reiseführer. Ein Talkessel mit wenig Frischluftzufuhr und schwefelhaltige Quellen, aus denen es sprudelt. Sauerstoff ist hier Mangelware. Ich bin zwar müde, aber es geht mir gut, während meine vier Mitreisenden mehr oder weniger Anzeichen von Höhenkrankheit haben. Ich konzentriere mich auf das Fotografieren. Irgendwelche Japaner nehmen ein Bad in einem Becken mit schwefelhaltigem warmen Wasser. Muss ich nicht haben. Aber in dieser stinkigen Brühe leben kleine Frösche! Es blubbert und zischt aus der dünnen Erdkruste. Auf der Fahrt zurück nach San Pedro holt mich dann die Höhenkrankheit mit Verzögerung ein. Zum Glück stehen die Motorräder unten. So könnte ich nicht fahren. Die Kopfschmerzen gehen erst weg, als wir wieder unten in San Pedro sind. Oder ist es die heilende Wirkung des chilenischen Rotweins?

Ralf Schröder

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